Da stehe ich. Mit meinem Fahrrad mitten in Berlin an der Kreuzung der Leipziger Straße. Fünf Spuren neben und sieben Spuren vor mir. Um mich herum Motorendröhnen und stechende Abgase. Was viele ignorieren können, strengt mich an. Und ich frage mich: Warum bin ich nicht abgebogen und habe den kleinen Umweg durch die grünen, sauberen und ruhigen Straßen gemacht?
Wenn ich morgens die Wohnung verlasse, die Treppen des Hauses runter gehe und mich auf den Weg zur Uni oder Arbeit mache, dann habe ich meist mein Rennrad über die Schulter geworfen. Während Covid-19 habe ich nochmal aufs Neue gemerkt, wie schnell und unabhängig ich mit meinem Fahrrad bin.
Unsichtbare Gefahr
Lange habe ich mir keine Gedanken gemacht, wie voll die Straße neben mir und meinem Fahrrad ist. Mein Maschinenbauer-Bruder hat mir zwar schonmal geraten, dass ich nicht unbedingt an Kreuzungen tief einatmen soll, wenn dort gerade Pkw und Lkw aus dem unteren Drehzahlbereich heraus beschleunigen. „Unvollständige Verbrennung beim Beschleunigen und so“. Lange habe ich das nicht weiter hinterfragt.
Aber zurück zur Ausgangslage, zurück zu den stechenden Gerüchen und zurück zu meinem Ärger darüber, dass ich nicht den Umweg gefahren bin. (Auch interessant: Die Welt nach den Autos)
Stinkender Verkehr – Woher kommen diese Abgase?
Im Straßenverkehr sind Verbrennungsmotoren unterwegs. Zwar gibt es auch immer mehr nachhaltige Antriebsformen, allerdings ist deren Anteil marginal.
Deutschlandweit gab es bis 1. Januar 2020 mehr als 15 Millionen Diesel-Pkw und über 31 Millionen Benzin-Pkw. Die Zahl der Elektroautos lag am 01. Januar 2020 bei 136.617. (Quelle: Kraftfahrt Bundesamt)
Hauptsächlich entstehen Feinstäube (PM) und Stickstoffoxide (NOx) bei den Verbrennern im Straßenverkehr. Sie alle sind weder gut für Herz und Kreislauf, noch für die Lunge.
Stickoxide
Die Stickstoffoxide sind hauptsächlich auf Dieselmotoren zurückzuführen. Durch die höheren Temperaturen im Brennraum steigen die Stickoxide. Stickstoffdioxid (NO2) ist wasserlöslich, kann also tiefer in die Atemwege eindringen. Daher herrscht europaweit seit der EU-Richtlinie 2008/50/EG ein Grenzwert von durchschnittlich 40 µg/m³ Luft im Jahresmittel. (Quelle: europa.eu)
Feinstaub
Auch Feinstäube entstehen durch Dieselmotoren, werden dann sekundäre Feinstäube genannt, aber sie entstehen auch als direkte Feinstaubemissionen durch Brems- und Reifenabrieb und aufgewirbelten Staub des gesamten Straßenverkehrs.
Interessant ist, dass die Feinstäube sich nochmal weiter unterscheiden und in verschiedene Größen unterteilen. Da gibt es PM10 mit einem aerodynamischen Durchmesser kleiner als 10 µm. Europaweit herrscht ein Grenzwert von 40 µg/m³. PM2.5 entspricht einem aerodynamischen Durchmesser kleiner als 2.5 µm. Der Grenzwert hierfür liegt seit 1. Januar 2020 auf 20 µg/m³. (Quelle: umweltbundesamt.de)
Ultrafeine Partikel
Die klingen nicht nur ungesund, sondern sind das auch. Sie sind kleiner als 100 Nanometer, damit also teilweise kleiner als ein Coronavirus. (Quelle: deutschlandfunknova.de) Und daher können sie besonders tief in Lunge eindringen und sogar in Blutbahnen gelangen. Für die ultrafeinen Partikel gibt es europaweit aber keine Grenzwerte.
Der offiziell ermittelte Jahresmittelwert von Stickstoffdioxid an der Leipziger Straße für das Jahr 2019 liegt übrigens bei 48 µg/m³, im Jahr davor lag dieser noch bei 59 µg/m³. Grundsätzlich geht der Trend nach unten, die Werte werden also minimal besser. Gremien der World Health Organization (WHO) gaben 2013 aber eine Empfehlung ab, wonach der Grenzwert niedriger anzusetzen wäre, bei ungefähr 20 μg/m³.
Grüne Radrouten
Nach diesem kleinen Exkurs lässt sich vielleicht besser verstehen, weshalb ich mich ärgere, keinen Umweg gefahren zu sein. Die Atmungsrate von Radfahrenden kann bis zu vier Mal höher sein als die von Verkehrsteilnehmern des motorisierten Verkehrs. Es werden also mehr Schadstoffe inhaliert. Grundsätzlich ist der gesundheitliche Vorteil durch die Bewegung beim Radfahren aber so enorm, dass auch erhöhte Schadstoffwerte bei der kurzen Dauer keine zu negativen Auswirkungen haben.
Für die Eindämmung eines Virus gehört Radfahren sogar zu einer globale Strategie. Seit dem Ausbruch von COVID-19 wurden weltweit in vielen Städten temporäre Radwege geschaffen, um das Infektionsrisiko in öffentlichen Verkehrsmitteln zu entschärfen. (Mehr dazu in diesem Beitrag: Plötzliche Verkehrswende)
Tipps für Radfahrende
Grundsätzlich macht es Sinn, Spitzenverkehrszeiten zu meiden. Das ist natürlich nicht für jede Person möglich. Unter Luft.jetzt lassen sich die Luftwerte der verschiedenen Messstationen entspannt auslesen. Das Messnetz ist sehr lückenhaft, liefert aber einen groben Überblick. Unter der Messaktion Abgasalarm der Deutschen Umwelthilfe finden sich verschiedene Messergebnisse einmaliger Messungen, die mit Passivsammlern und unabhängig der offiziellen Messstationen durchgeführt wurden.
Auf große Straßen, auf denen keine Radwege vorhanden sind, sollte man verzichten. Viel besser ist es, wenn man Grünflächen, getrennte Radwege oder Neben- und Fahrradstraßen in die Route einplant. Je näher am Verkehr, desto höher auch die Belastung.
Fazit
Bei Messungen meiner Bachelor-Arbeit, an der ich mit Unterstützung der Deutschen Umwelthilfe gearbeitet habe, wollte ich genau wissen, welcher Schadstoffbelastung Radfahrende in Berlin-Neukölln so ausgesetzt sind. Wenig erstaunlich, dass die Strecken durch Nebenstraßen, Grünflächen und versetzt vom motorisierten Verkehr weniger stark belastet waren. Umso erstaunlicher war die immer noch hohe Belastung auf den Strecken an den großen Straßen unmittelbar neben den Autos. Die Grenzwerte waren teilweise um ein Vielfaches überschritten. Gesunde Luft ist etwas anderes.
Auch deswegen gibt es in Kopenhagen die „Green Cycling Routes“. (Quelle: centralscotlandgreennetwork.org) Das sind Strecken, die auf Alternativrouten verlaufen. Um die Unfallgefahr zu reduzieren, aber auch, um den Radfahrenden eine gesunde Atemluft und ruhige Umgebung zu ermöglichen. Durchgängigere „Green Cycling Routes“ würden vielleicht auch in Berlin die Lust aufs Radfahren neu entfachen und der morgendliche Verkehrsstress würde sich in einen erfrischenden Start in den Tag verwandeln.
Zum Autor: Till Steinmeier arbeitet als HiWi bei der Deutschen Umwelthilfe und misst regelmäßig die Schadstoffbelastung in Berlin. Für seine Bachelorarbeit hat er die Schadstoffwerte auf Radwegen in Berlin gemessen. Außerdem engagiert er sich für das Projekt Schöne Städte.
Mehr zu Radwegen in europäischen Städten: Im folgenden Video werden die Radwege von Amsterdam und Kopenhagen verglichen. Beide Städte gelten als „fahrradfreundlich“, trotzdem gibt es hier erhebliche Unterschiede.