Der Frühling hat kalendarisch begonnen. Für viele Studierende steht das Sommersemester vor der Tür. Trotz der aktuellen Pandemielage machen sich auch dieses Jahr wieder Tausende Studierende und Auszubildende auf den Weg, um am größten Austauschprogramms Europas teilzunehmen: Erasmus+.
Der Erasmusaustausch ermöglicht seit 1987 über zehn Millionen Teilnehmenden neue Freundschaften, aufregende Erfahrungen an unbekannten Orten und eine oft langersehnte Abwechslung. Unbedacht bleibt jedoch häufig das Thema Nachhaltigkeit. Rund 75 Prozent der über 300.000 Erasmus-Studierenden reisten 2019 mit dem Flugzeug in ihr neues Abenteuer. Angesichts der globalen Erderwärmung, dem rasanten Biodiversitätsverlustes und anderen Trends, die dem Klimawandel zuzuordnen sind, ist das Flugverhalten von Erasmusstudierenden problematisch. Dabei sind laut einer aktuellen Umfrage der Kampagne HopOn über 58 Prozent der Befragten aus der Generation Z bereit, für den Klimaschutz auf nachhaltigere Transportmittel umzusteigen.
Reisen mit dem Zug: Chancen und Hürden
Warum also fliegen die meisten trotzdem? Wie bei vielen Dingen im Leben ist auch hier die Sachlage komplex. Innereuropäisch genießt die Flugindustrie viele Vorteile. Das Flugbenzin Kerosin wird nicht besteuert und für Ticketbuchungen entfällt die Mehrwertsteuerabgabe. Die Bahnindustrie muss sich hingegen mit Trassengebühren, Energieabgaben und teuren Regularien bei Grenzübergängen herumschlagen. Das ist mitunter ein Grund dafür, dass Bahnfahren durch Europa immer noch teurer ist. Erasmusstudierende, die bislang ihre Reisekosten selbst tragen mussten, wählen aus finanziellen Gründen häufig das Flugzeug.
Auch das grenzübergreifende Bahnnetz ist noch ausbaufähig. Ob beim Recherchieren, Buchen oder Reisen: Zugfahren ist oft mit mehr Zeitaufwand verbunden. Angesichts dieser Hürden ist es ökologisch umso problematischer, wenn Studierenden Netzwerke, wie das Erasmus Student Network (ESN), mit Fluglinien wie Ryanair kooperieren. Mitgliedern werden dadurch Flugreisen durch Rabattvorteile noch schmackhafter gemacht.
Ein Licht lodert jedoch am Ende jedes Tunnels. Die von der Leyen Kommission, die 2019 den European Green Deal zu ihrem Aushängeschild erkoren hat, scheint die Bedeutung der Förderung von nachhaltigem Reiseverhalten erkannt zu haben. In ihrem kürzlich veröffentlichten Programmleitfaden für die Gestaltung des Austauschprogramms im Zeitrahmen von 2021 bis 2027 bekommen Erasmus Studierenden, die nachhaltige Reisemittel wählen, nun finanzielle Zuschüsse.
Zwar verkürzt diese finanzielle Unterstützung keine lange Zugfahrt, aber vielleicht können sie für einige von euch trotzdem ein Anreiz sein. Um euch die Übersicht und Entscheidung zu erleichtern, haben wir von Erasmus by Train e.V. uns fünf Wege rausgesucht, über die ihr umweltschonend in Eurer Auslandssemester starten könnt.
1. Frankfurt – Paris
„Es lebe Europa! Vive l’Europe!“ Mit diesen Worten beendete Ursula von der Leyen ihre Rede kurz vor ihrer Wahl als EU-Kommissionspräsidentin im Juni 2019. Es könnten aber auch deine Gedanken sein, wenn du auf deiner Zugreise von Frankfurt am Main nach Paris in weniger als vier Stunden die Grenze zwischen Frankreich und Deutschland überquerst. Ein Preisvergleich macht die Zugreise auf dieser Strecke unschlagbar: Bei früher Buchung kostet dich die Zugfahrt 39,90€ im Vergleich zu happigen 95€ für ein Flugticket. Anstelle von 268 ausgestoßenen Kilogramm CO2, die du durch einen Flug zu verantworten hättest, belastet du auf deiner Zugreise die Umwelt mit nur 20,4 kg CO2 Du kannst dich mit reinem Gewissen zurücklehnen und dich von den vorbeiziehenden Landschaften inspirieren lassen.
Ach und eins noch: die Flugzeit scheint sich auf 1:15 Stunden zu begrenzen, allerdings ist dabei nicht eingerechnet, dass die An- und Abreise von dezentral gelegenen Flughäfen, das Einchecken inklusive Sicherheitskontrolle und Gepäckabgabe sowie das Warten am Gepäckband am Zielort jede Menge Zeit kostet.
Hard Facts: Frankfurt – Paris: 3:55h – ab 39,90€ – 20,4 kg CO2 mit dem Zug vs. 1:15h – ab 95€ – 268 kg CO2 mit dem Flugzeug
2. München – Verona
Mit einer Brezel in der Hand in den Gardasee springen. Morgens noch schnell die Koffer packen, eine Brezel beim Bäcker in München kaufen und sich auf der 5-stündigen Zugfahrt über günstige Reisekosten und einen kleinen CO2-Fußabdruck freuen. Mittags im schönen Verona ankommen, auf den Spuren Romeos, Julias und Shakespeares wandeln, um der Mittagshitze bei einem Sprung in den Gardasee zu entkommen. Nach der kleinen Erfrischung und einer anschließenden Stärkung mit Pizza, Eis und Espresso ist Verona nicht nur ein toller Ort für ein Auslandssemester, sondern auch der ideale Ausgangspunkt für weitere Reisen durch ganz (Nord-)Italien.
Hard Facts: München – Verona: 5:20h – 39,90€ – 14,7 kg CO2 mit dem Zug vs. 1h – 120€ – 134 kg CO2 mit dem Flugzeug
3. Berlin – Budapest
Dickes B im Doppelpack: Ohne Umsteigen von Berlin nach Budapest. Diese Zugreise ist besonders attraktiv für spontane und erkundungsfreudige Reisende! Falls du es eilig hast, kannst du für 51.40 Euro und innerhalb von elf Stunden am Ziel sein und dich bei deiner Ankunft sofort über die erste Portion Lángos hermachen. Weil der Zug aber durch Städte wie Dresden, Prag, dem süd-tschechischen Břeclav, Bratislava und Visegrad tingelt, kannst du Dich auch unterwegs von deiner Abenteuerlust packen lassen. Wie auf einer Hop-on-Hop-off Tour lernst Du so einige Juwelen Osteuropas kennen.
Hard Facts: Berlin – Budapest: 11:04h – ab 51.40€ – 90,1 kg CO2 mit dem Zug vs. 1:30h – ab 14€ – 129,2 kg CO2 mit dem Flugzeug
4. Hamburg – Genf
Von zwei internationalen Städten und einigen Umwegen. Solltet ihr euch dieses Jahr von Hamburg nach Genf aufmachen, werdet ihr bemerken, dass die Forderung nach einem gut ausgebauten Schienennetz innerhalb Europas (leider) immer noch hochaktuell ist. Denn dieser Zielort ist sprichwörtlich nur auf Umwegen erreichbar. Auf dieser Zugreise musst du zwischen ein- bis dreimal umsteigen, und aufgrund dessen auch 10½ bis 12 Stunden für die Reise einplanen. Aber du hast die Möglichkeit, dir in Fulda, Olten, Zürich, Basel oder Biel kurz die Beine zu vertreten und auch an diesen Orten vielleicht Unerwartetes zu erleben. Unsere Teamkollegin Merle, die sich auf ihrem Austausch gegen die verlockende Flugzeit von 3:50h entschieden hat, berichtet über die Zugfahrt: „Egal bei welcher Tages- oder Jahreszeit, es gibt kaum etwas Schöneres als den Schwarzwald und die Schweizer Landschaft mit dem Zug zu durchfahren“. Und während du dich also an der Landschaft erfreust, ersparst du ihr den sonst mit dem Flugverkehr verbunden CO2 Ausstoß von 575 kg.
Hard Facts: Hamburg – Genf: 10:28h – 104€ – 134 kg CO2 mit dem Zug vs. 3:50h – 100€ – 576 kg CO2 mit dem Flugzeug
5. Der Nachtzug
Unter dem Stichwort Renaissance der Schiene setzen sich Verbände und AktivistInnen vielerorts dafür ein, dass dem Nachtzug neues Leben eingehaucht wird. Ganz vorne mit dabei ist die Österreichische Bundesbahn, die damit wirbt, Reisende „über Nacht in über 25 europäische Metropolen“ zu bringen. Vorteile hat der Nachtzug viele: er ist umweltfreundlich, komfortabel, bietet Gepäckfreiheit, vermeidet häufiges Umsteigen und kann durch die Fahrt über Nacht auch als zeiteffizient angesehen werden. Petra, eine der Autorinnen dieses Magazins, hat bereits von ihrer Reise in einem Nachtzug von den Bergen ans Meer berichtet. Innerhalb der nächsten Jahre sollen Nachtzüge auf immer mehr Strecken fahren, einen Überblick über die bereits existierenden Strecken könnt ihr euch hier machen. Vielleicht ist ja auch Euer Austauschort unter den Zielen, die bereits von Nachtzügen angefahren werden.
Unser Vorschlag: Kostenlose Interrailtickets für alle Erasmus Teilnehmende
Zwar sind Zugfahrten oft länger als die reine Flugzeit, aber das birgt auch eine tolle Chance: die Anreise wird zum Teil deines Austauschs. Während man mit dem Flugzeug nur von Metropole zu Metropole reist, begegnen einem im Zug unterschiedlichste Menschen mit ihren Geschichten. Die durchreisten Orte und Landschaften machen Europa spürbar – Einheit und Vielfalt bleiben keine abstrakten Worthülsen, sondern werden auf der Reise greifbar. Als Verein Erasmus by Train motiviert uns der Enthusiasmus für das nachhaltige Reisen und ein verbundenes Europa in unserer politischen Arbeit. Wir verfolgen das Ziel, das EU-Programm Erasmus+ langfristig mit Interrail zu kombinieren, um kostenfreies und ökologisch-sinnvolles Reisen allen Austauschstudierenden zu ermöglichen. Wir finden, dass die Vorteile, die das Reisen und ein Austausch mit sich bringt, nicht zum Nachteil für die Zukunft unseres Planeten werden sollte. Zum Glück ermöglicht uns das Zugfahren schon heute auf vielen Strecken ein klimafreundlicheres Reiseverhalten.
Disclaimer:
Alle Preisangaben beziehen sich auf eine Buchung 30 Tage vor Reiseantritt. Zum Nachschlagen der Reisezeit- und Kosten habe wie die Reisevergleichsportale Omio und RometoRio genutzt. Die Angaben zu CO2 Werten beziehen sich auf Daten des Quarks-Emissionsrechners, des CO2 Rechners von Atmosfair und des all-in-one tools EcoPassenger.