Einmal mit dem Nachtzug von Oberbayern nach Sylt und zurück. Was bis vor wenigen Wochen keine großartige Sache zu sein schien, hat sich durch die Covid19 Pandemie deutlich verändert. Und dann doch nicht so sehr.
Schon seit einer Weile lebe ich mit dem Anspruch, nachhaltiger und mit weniger Klimaschädigung zu reisen. Mein Ziel ist es nicht, an möglichst vielen Orten gewesen zu sein. Erreichte Urlaubsorte wollen und sollen nicht „abgegrast“ werden, sondern erlebt werden. Eine Reise machen heißt für mich, nicht alles im Voraus planen und auch mit kleinen Unwägbarkeiten einen guten Umgang zu finden. Ich möchte Land und Leute erleben und schon unterwegs das Gefühl haben, dabei zu sein und mich entwickeln zu lassen.
Verreisen in Zeiten von Corona
Corona stellt neue Regeln auf und macht deutlich, dass es für uns alle wichtig ist, Verantwortung zu übernehmen. Also doch daheim bleiben? Auch keine schlechte Idee, schließlich wohne ich in einer schönen Gegend, in der man sich wohlfühlen kann. Doch dann ermöglichte ein kleiner Zufall doch eine Reise, die auch in diesen Corona-Zeiten gut realisierbar war. Über eine Bekannte habe ich kurzfristig eine kleine Ferienwohnung auf Sylt bekommen. Dass sie im Wunschzeitraum frei war, erschien dabei wie ein Wink des Schicksals.
Also ab ins Auto und los!
Moment! Klar denke auch ich (immer noch) im ersten Moment einer Reiseplanung an das Auto. Umso mehr, wenn ich innerhalb Deutschlands unterwegs bin. Einer der unbestrittenen Vorteile ist, dass man einfach mehr einpacken kann. Man kann sich auf wirklich jede Eventualität vorbereiten. Man kann für jedes Wetter einpacken und auch für jede nur erdenkbare Freizeitaktivität. Machen wir uns nichts vor, in der Regel ist das Auto auch dafür verantwortlich, dass wir schlichtweg zu viel einpacken. Das Auto unterstützt unseren „Hamstermodus“ und das Bedürfnis, auf alles vorbereitet sein zu wollen.
Und das ist natürlich auch einer der Nachteile. Wir reisen in der Regel mit zu viel: Zuviel Gepäck, zu viel Gewicht, zu viel Perfektionismus, zu viel Anspruch. Und das ist genau der Grund, warum ich, wann immer es gut geht und dazu gehört der Urlaub als entspannte Reisezeit auf das Auto zu verzichten versuche. (Auch im Alltag verzichtet Petra auf ein Auto, stattdessen fährt sie ein kleines Elektrofahrzeug. Think smaller: 7 Jahre mit dem Twizy) Mittlerweile komme ich schon auf eine stattliche Anzahl an Reisen, in denen das Auto keine Rolle spielt. Und so war auch diesmal die Frage welche Alternativen es gibt, um 850 Kilometer von Süd nach Nord zu kommen, relativ schnell beantwortet: Mit dem Nachtzug.
Ich liebe das Meer, ich liebe die Nordsee! Den rauen Wind, die rauschenden Wogen, das tolle Klima, die besondere Natur. Und gut dahin kommt man mit dem Zug, genauer gesagt mit dem Nightjet der Österreichischen Bundesbahn. Mir ist bis heute einfach schleierhaft, wieso die Deutsche Bahn diese wunderbare Reisemöglichkeit aufgegeben und das, ich glaube mittlerweile gute Geschäft an die ÖBB verkauft hat.
Es ist einfach ganz fantastisch, in Ruhe das Gepäck vorzubereiten und abends nach dem Essen in einen Zug steigen zu können. Ohne Angst vor irgendwelchen Staus loszufahren und dann am nächsten Morgen am Zwischenstopp oder am Ziel erfrischt aus dem Zug auszusteigen, das ist einfach klasse. Dabei nutzt man so genau die Zeit, die man sonst im Bett verpennt, um sich fortzubewegen. Für mich der Inbegriff der Effektivität!
Von Westried nach Westerland
Mit dem Nightjet verreisen heißt von meinem Wohnort aus mit der Regionalbahn bis nach München zu fahren und dort dann in den Nightjet umzusteigen. Der Nachtzug bietet dabei auch verschiedene Komfortstufen. Man bucht entweder ein abschließbares Zweierabteil mit Bett und Weckservice vom Schaffner, ein 6-er Abteil mit Liegesesseln, die durchaus nicht unbequem sind, nur manchmal etwas sehr große Abstände haben, oder den Großraumwagen ebenfalls mit Liegesesseln.
Mir ist tatsächlich der Großraumwagen oder das 6-er Abteil am liebsten. Es soll Menschen geben, die sofort einschlummern und tief und fest schlafen. Zu denen gehöre ich nicht. Ich hab Schwierigkeiten beim Einschlafen und liebe außerdem die Nacht und die nächtliche Stimmung. Von daher macht es mir nichts aus, auch mal wach zu sein. Mit dieser Einstellung ist der Mehrpreis, den ich für das Schlafwagen-Abteil gezahlt hätte, nicht zu rechtfertigen. (Auch interessant: Die Zukunft der öffentlichen Verkehrsmittel)
Der Nightjet nach Sylt, denn ich genutzt habe, fuhr das erste Mal wieder nach dem Lockdown die Strecke von München nach Hamburg. Schon bei der Buchung wurde klar, dass die ÖBB für die Hinfahrt alle Abteile nur mit zusammen reisenden Personen belegte. Das war sehr angenehm, wir waren im 6-er Abteil zu zweit und hatten entsprechend viel Platz.
Einstieg in München, Abteil beziehen, Sitze ausklappen, Schuhe aus, ein bisschen zudecken, lesen, einschlafen und morgens in Hamburg zum Frühstück aus- und danach in den IC nach Sylt umsteigen.
Umstieg in Hamburg
Bis Hamburg fand ich die Reise relativ unspektakulär, wenn man von ein bisschen Zittern wegen Verspätungsalarm absieht. Nach dem Umstieg habe ich eine tolle Landschaft erlebt. Man sieht viel flaches Land und auch, dass an der Bahnstation Niebüll alle Autos, die auf die Insel wollen, eingeladen werden. Eine wirklich Besonderheit der Strecke ist, dass man im Zug sitzt und durch den Deich und mitten durch das Wattenmeer fährt.
Sehr schön ist es auch, wenn man einen amüsanten Zugbegleiter hat, der bei allen Gelegenheiten mit Lautsprecherdurchsagen in plattdeutschem Dialekt auf kleine Besonderheiten aufmerksam macht. In Niebüll, während die Autos eingeladen wurden und der Zug stand, durften die RaucherInnen unter den Fahrgästen die Zeit nutzen aufzustehen, um in Ruhe eine zu „smoaken“. Auch der Begriff „Schnutenpulli“(für die notwendige Mund-Nase-Maske) ist seit diesem Schaffner fester Bestandteil in meinem Sprachgebrauch geworden.
Geschenkte Lebenszeit
Es ist sehr entspannt zu reisen, ohne Stau, Rastplatzaktion, Raser und Drängler im Nacken. Zeit, die ich im Auto angestrengt und gestresst hinter dem Lenkrad verbracht hätte, habe ich genutzt, um mich mit Mitreisenden zu unterhalten, etwas zu lesen, dass ich schon lange lesen wollte, ein Rätsel zu lösen oder zu telefonieren. All das ist reine Lebenszeit, die man sich selbst schenkt. Landschaft und Reise genießen, während der Lokführer seine wertvolle Fracht(die Fahrgäste) sicher ans Ziel bringt. Das ist Urlaub der sofort anfängt und eine Reise, auf der man lebt.
Ankunft in Westerland
Die örtlichen Buspläne sind übersichtlich, gut getaktet und bringen die Gäste überall hin. Eine gute Gelegenheit, mit Einheimischen in Kontakt zu kommen und wichtige Informationen zu sammeln.(Zum Beispiel: Wo die Currywurst zu teuer und auch nicht gut ist und welches Lokal eindeutig den besten Kuchen hat. Was auch stimmte!) Fahrrad und Bus schließt sich auf Sylt nicht aus. Die Zweiräder werden problemlos mitgenommen und sind an einer der zahlreichen Verleihstationen für wenig Geld zu bekommen. Wandern am Strand ist ja an der Nordsee auch unbedingtes Pflichtprogramm. Die Insel ist so groß, dass man jeden Tag was anderes unternehmen kann und trotzdem so klein, dass man überall hinkommt.
Sylt auf dem Fahrrad erkunden
Die Insel Sylt ist sehr viel schöner und landschaftlich reizvoller, als ich erwartet hätte. Auch wenn hier deutlich mehr Rolls Royce zu sehen waren als im normalen Alltag, sind hier viele sehr freundliche Menschen, wenn man sie finden möchte. Man besucht eine Insel, die viele Facetten und sehenswerte Landschaften hat. Eine Radtour zum Ellbogen im Norden der Insel ist eine Fahrt durch eine Heidelandschaft mit großen Dünen und viel Sand. Und Schafen, die ein unbedingtes Fotomotiv für vorbeifahrende Urlauber sind.
Das Bambus, an dem man auf der Fahrt in den Ellbogen ebenfalls vorbeikommt, ist ein ehemaliger Kiosk an der Bushaltestelle in List. Es gibt das Gerücht, dass der Name Bambus von „Bar am Meer Bushaltestelle“ abgeleitet ist. Hektik, Fahrpläne und Stress wie „Zu spät kommen“, sind hier Fremdwörter. Man fühlt sich schon bei der Bestellung innerhalb weniger Sekunden mega-entspannt und direkt in die 60er-Jahre teleportiert und freut sich an den Schwalben, die über der Kasse einen guten Platz zum Nisten gefunden haben.
Die örtlichen Restaurants setzen das Hygienekonzept sehr gut um. Die fast schon ritualhafte und sehr angenehme Art des Empfangs in der „Seenot“ in Westerland hat mir besonders gut gefallen. Nach einem „Hände hoch“ und einem freundlichen Lächeln im Eingangsbereich, bekam man Desinfektionsmittel auf die Hände gesprüht, konnte sich ein Tuch zum Abtrocknen nehmen und wurde dann an einen Tisch geführt, der durch Plexiglas-Abtrennungen vom Nachbartisch getrennt war. Ebenfalls unvergessen war der sehr gastfreundliche Service (und das super-leckere, nicht kleine Stück Pflaumenkuchen) im Kaamps 7.
Rückfahrt und Fazit
Die tolle, entspannende Woche bei nicht ganz so sonnigem Wetter, viel frischer Luft und vielen kleinen und großen Besonderheiten und Erlebnissen war schnell vorbei. Für die Rückfahrt im Nightjet, galten angepasste Hygienebestimmungen und mit Maske konnten nun vier Personen das Abteil nutzen. Zwei Frauen aus den Niederlanden und aus Hannover waren für eine Nacht sehr angenehme und unkomplizierte Reisebekanntschaften. Schnell waren wir beim Du, haben nett miteinander geredet und die Positionen der Köpfe und Füße für die Nacht abgesprochen.
„Jede Reise beginnt mit dem ersten Schritt“ oder auch „Der Weg ist das Ziel“. Solche Sprüche lese ich sonst nur auf Postkarten oder in Facebook, auf meiner Reise mit dem Nachtzug musste ich oft an sie denken. Unser Mobilitätsverhalten ist wie vieles andere dazu verdammt effektiv sein zu müssen. Wir wollen dabei immer pünktlich sein und dulden keine Abweichungen. Das ist schade, denn für mich ist es ein Gewinn, genau das in meinem Urlaub anders zu machen.
Info: Bisher fährt der Nachtzug der ÖBB über 25 Städte in Europa an. Mehr dazu gibt es auf der Webseite: Nightjet ÖBB.
Disclaimer: Die Reise wurde privat bezahlt und die Österreichische Bundesbahn hatte keinen Einfluss auf diesen Erfahrungsbericht.