Er lässt Parkplätze verschwinden, er drosselt die Geschwindigkeit und dämpft den Lärm. Aus Blechlawinen und Asphaltwüsten werden weiße Kissen. Der Schnee macht die menschenfeindliche Stadtplanung einmal mehr deutlich und zeigt gleichzeitig neue Wege auf.
Gezuckerte Äste ranken über Schneebergen, die ganze Autos unter sich begraben. Schneeflocken rieseln herab und bedecken den Asphalt. Die Autoreifen knarzen und ziehen breite Spuren durch die Schneedecke. Alles wirkt gedämpft, alles wirkt weich.
Weiße Kissen überall
Wo vor zwei Tagen noch ein SUV halb auf dem Fußweg parkte, thront heute ein gigantischer Berg aus Schnee. Die Embleme der Automarken sind verschwunden und von allen Seiten reflektieren weiße Flächen. Wer heute mit dem Auto fahren möchte, muss sich zuerst einen Weg schaufeln.
Viele Fahrzeuge werden tagelang nicht benutzt und sind deshalb fast komplett im Schnee versunken. Das zeigt den BesitzerInnen, wie oft sie den eigenen Pkw wirklich nutzen und verleitet einige dazu, ihr Auto auch weiterhin stehen zu lassen. Auch mit dem Fahrrad kommt man bei solchen Schneemassen schlecht voran, aber es geht. (Zum Beispiel mit diesem Fahrrad)
Lieber gehen sie zu Fuß oder nehmen den Bus, bevor sie sich durch die Schneemassen kämpfen. Das spart Nerven, Geld und CO². Denn selbst wenn das Fahrzeug als solches erkennbar wird und sich die Fahrertür langsam öffnen lässt, schafft man es kaum alleine aus der Parklücke heraus. (Auch interessant: Die Welt nach den Autos)
Mehr Hilfsbereitschaft im Schnee
Ob es der ältere Mann ist, der mit seinem Gehstock kaum durch die Schneeberge kommt oder eine Autofahrerin, deren Vorderreifen im Schnee keinen Halt finden. Auf einem Schneespaziergang durch die Nachbarschaft habe ich beides erlebt und sofort war ich umgeben von einem Team voller hilfsbereiter Menschen.
Vier Personen stemmten sich mit ihrem gesamten Körpergewicht gegen die Rückseite des Kleinwagens, während die Fahrerin vorsichtig beschleunigte. Die Reifen drehten durch und der Schneematsch spritzte durch die Gegend, bis das Auto endlich mit allen vier Rädern auf die Straße rollte. Alle Beteiligten standen schwer atmend bis zu den Knien im Schnee und hatten ein Lächeln im Gesicht. Gemeinsam haben wir es geschafft und das fühlt sich toll an. Aus dem anonymen und abgeschotteten Fortbewegungsmittel Auto ist Teamwork geworden.
Alle fahren langsamer
Was Tempolimits, Zebrastreifen und künstliche Bodenwellen seit Jahren bewirken sollen, klappt plötzlich von allein. Bei starkem Schneefall in der Stadt ist kaum jemand schneller als 30 km/h. (Auch interessant: Fahrspaß mit 25 km/h) Niemand will in den Schneehaufen am Straßenrand rutschen oder über eine Kreuzung schleudern, deshalb fahren alle vorsichtiger. Schnee kann ganze Städte in verkehrsberuhigte Zonen verwandeln, RadfahrerInnen und FußgängerInnen profitieren davon leider trotzdem kaum.
Noch weniger Platz
Alle fahren langsamer, neue Verkehrsinseln entstehen mitten auf Kreuzungen und Schutzstreifen aus Schnee trennen den Fußweg von der Straße. Das klingt nach einer Verbesserung für alle unmotorisierten VerkehrsteilnehmerInnen. Leider werden im Winter aber vor allem und zuerst die Straßen geräumt, viele Radwege zugeschüttet und die meisten Fußwege zu Trampelpfaden. (Mehr zu Radwegen in der Stadt: Zwischen den Gleisen)
Fazit: Altbekannte
Probleme und neue Wege
Im Winter wird einmal mehr deutlich, dass in der Stadt das private Auto immer noch begünstigt wird. Alle anderen fallen hinten runter. Der viele Schnee zeigt aber auch, wie es ohne oder zumindest mit weniger Autos in den Straßen aussehen könnte. Auf den Schneebergen in den Parklücken können Kinder spielen, die reduzierte Geschwindigkeit sorgt für weniger Lärm und mehr Sicherheit und alle nehmen mehr Rücksicht aufeinander. Wenn jetzt noch überall dort, wo sich Schnee häuft, im Sommer Pflanzen wachsen würden, wie viel lebenswerter wäre die Stadt?