Sie war 2013 das Elektroauto des Jahres und trotzdem gibt es sie weniger als 2.000 mal. Für ihren Schöpfer ist die MIA eine Lebenshaltung, für ihre Fans die einzige sinnvolle Version eines Elektroautos.
Murat Günak wollte ein Fahrzeug bauen, das die Ressourcen unserer Welt schont. Er wollte entschleunigen und die ursprüngliche Romantik des Reisens zurückbringen. 2014 geht MIA Electric pleite und der Traum platzt. Über fünf Jahre später soll jetzt eine neue Version der MIA die Straßen Europas erobern. Das Abenteuer des elektrischen Mini-Van geht weiter.
Alles beginnt mit Murat Günak
Vom Mercedes SLK über den Peugeot 206 bis hin zum VW Tiguan. Murat Günak designte viele Sportwagen und SUVs namhafter Hersteller. 2004 wurde er Chef-Designer bei Volkswagen. Eine spektakuläre Karriere, die er 2007 plötzlich aufgibt, um ein Elektroauto zu bauen. „Die Ressourcen dieser Welt sind knapp, die Autos sind sehr unvernünftig geworden“, sagt er damals im Interview mit dem ADAC.
Zuerst entwickelt er den Prototypen Mindset gemeinsam mit dem Autodesigner Paolo Tuminelli. Dabei wird er finanziell vom Schweizer Investor Lorenzo Schmid unterstützt, einem Mitinitiator des TWIKE. (Auch interessant: Reisen mit dem Twike) Der Prototyp ist am Ende zu teuer für eine Serienfertigung. Deshalb präsentiert Murat Günak gemeinsam mit dem Karosseriehersteller Heuliez 2008 einen „massentauglicheren“ Prototypen namens Friendly. Es ist die erste Version der MIA.
Neustart und Ende
Zu Beginn der Produktion hält der Pharmaunternehmer Edwin Kohl fast 90 Prozent aller Unternehmensanteile. Insgesamt 210 Mitarbeiter beschäftigt das Unternehmen im westfranzösischen Cerizay. Im Juni 2013 gibt Edwin Kohl auf Grund von Absatzproblemen alle seine Anteile an die Aktienfondsgesellschaft FocusAsia ab. Die neue Chefin heißt jetzt Michelle Boos. Nachdem die mia in Deutschland nur selten verkauft wurde, ist das Ziel jetzt der chinesische Markt.
„Die großen Hersteller hatten die Elektromobilität noch nicht ernst genommen, deshalb hatten die Menschen noch kein Vertrauen dafür“, sagt mir Murat Günak 2019 im Interview für das Magazin Elektroautomobil. „Es war wie ein Kampf gegen Windmühlen.“ 2014 meldet MIA Electric Insolvenz an. Ein anonymer Bieter erhält 2015 die Patente und Produktionsanlagen für 800.000 Euro. Danach passiert lange nichts.
Die MIA-Community
Nach der Insolvenz schließen sich die MIA-BesitzerInnen zusammen und um das Mainzer Autohaus jacobi emobile entsteht eine internationale Community. Am selbstorganisierten MIA-Tag werden Erfahrungen ausgetauscht und mit allen geteilt, die sich dafür interessieren. Eine Kolonne leiser Mini-Vans rollt an diesem Tag durch Mainz.
Jede MIA sieht anders aus und hat einen eigenen Namen. Jürgen Fuchs nennt seine liebevoll Mountain MIA. Seit er einen zusätzlichen Kühlkörper für das Motorsteuergerät eingebaut hat, schafft sie auch im Sommer mehrere steile Bergpässe hintereinander. (Mehr dazu: Leise durch die Dolomiten) In ihrer ursprünglichen Form ist die Mia sicher nicht perfekt, sie lässt ihren Besitzern Spielraum für Verbesserungen und macht das Reisen wieder zu einem Abenteuer.
Früher haben die Menschen mit ihren Autos noch Pannen erlebt, es hat mal rein geregnet oder die Heizung hat nicht funktioniert. „Das hat die Menschen mit dem Auto romantisch verbunden“, sagt Murat Günak 2012 im Interview mit dem ADAC. Diese Romantik sollte die Mia wieder zurückbringen. Sie sollte das Reisen entschleunigen und den Weg wieder zum Ziel machen. (Auch interessant: 7 Jahre mit dem Renault Twizy)
Freundliches Design
Mit ihren gutmütigen runden Scheinwerfer hat sie ihre heutigen Fans für sich gewonnen. Murat Günak wollte sich mit dieser kommunikativen Gestaltung vom Design anderer Herstellern abheben, denn damit ist er überhaupt nicht zufrieden:
„Das momentane Design der Autos spiegelt die Verfassung unserer Gesellschaft wieder: Jeder schottet sich ab. Autos strahlen Aggressivität aus und die kleinen Schlitz-Fenster erinnern an Panzer.“ – Murat Günak
Wenn im Rückspiegel statt zusammengekniffenen Schlitzen zwei runde Lichter strahlen, bleiben das Stresslevel und der Blutdruck niedriger. Leider gibt es die MIA zu selten um die Stimmung auf unseren Straßen flächendeckend zu erheitern. Es wurden nur circa 1.600 Fahrzeuge produziert, bis jetzt.
Die MIA 2.0
„Als ich von der Neuauflage der MIA erfahren habe, habe ich mich total gefreut. Da steckt ein ganz großes Stück Engagement drin“, sagt Murat Günak. Er glaubt an einen Erfolg der Neuauflage, denn das Konzept ist für ihn immer noch zeitgemäß. Er gratuliert den neuen Eigentümern (die Aktiengesellschaft FOX Automotive Switzerland) zu diesem Schritt. Wahrscheinlich würde er sich auch selbst wieder eine MIA kaufen, seine letzte hat er einem begeisterten Freund geschenkt.
Murat Günak ist heute Mitgründer des Berliner Startup-Unternehmens ONO Motion und entwickelt ein Pedelec für Paketboten, das den FahrerInnen Schutz vor Wind und Wetter bieten soll. (Auch interessant: Halb Auto, halb Fahrrad: Acht Velomobile mit Elektromotor) Er ist sich sicher: „Den Wunsch nach individueller Mobilität wird es immer geben.“ Autos haben für ihn trotzdem und vor allem in der Stadt keine langfristige Zukunft:
„Ein mögliches Szenario könnte sein, dass es wie bei den Pferden abläuft. Das Pferd war das Transportmittel für alles, bis das Auto kam. Heute ist das Auto das Transportmittel für alles, aber Pferde gibt es immer noch. Es gibt Turniere für Pferde und die Menschen verbringen ihre Freizeit mit ihnen. So könnte auch die Zukunft des Automobils aussehen.“ – Murat Günak
Daten zur MIA electric:
Höchstgeschwindigkeit: 130 km/h
Reichweite: ca. 200 Kilometer
Drei Sitze: zentraler Vordersitz, zwei Rücksitze
Länge: 2,87 Meter
Breite: 1,64 Meter
Höhe: 1,55 Meter
Stauraum: 260 Liter
Leergewicht: 764 Kilogramm
Disclaimer: Die Aktiengesellschaft Fox Automotive Switzerland hatte keinen Einfluss auf diesen Beitrag. Mittlerweile kann die MIA in verschiedenen Varianten auf der Webseite vorbestellt werden: fox-automotive.ch