Die Hinfahrt im Sitzwagen schreit nicht nach einer Wiederholung. Vielleicht kann mich die Rückfahrt im Liegewagen vom Reisen im Nachtzug überzeugen. Meine Beine konnte ich jedenfalls die ganze Fahrt über ausstrecken und am Morgen gab es ein kleines Frühstück. Ein Erfahrungsbericht aus dem Nightjet Liegewagen.
Wieder steige ich nach dem Abendessen mit geputzten Zähnen in den dunkelblauen Nightjet, diesmal am Hamburger Hauptbahnhof. Als ich das Abteil betrete, schiebe ich als erste Amtshandlung die Jalousie am Fenster nach oben. So schaffen es die letzten Sonnenstrahlen des Tages durchs Fenster und füllen das enge Abteil mit warmem Licht. Als zweite Amtshandlung drehe ich die Klimaanlage über der Tür so weit wie möglich nach links. Gerade als ich meinen Rucksack auf die obere Liege auf der rechten Seite werfe, kommt ein Mann ins Abteil. Er hat einen Wanderrucksack auf dem Rücken und trägt schwarze Gummisandalen. Zu zweit können wir nicht nebeneinander im Abteil stehen, deshalb klettere ich auf meine Liege. Er setzt sich auf die Liege unter mir.
Ausgebuchter 4er-Liegewagen
Wenig später tritt ein zweiter Mann vors Abteil. „Das ist ja fast historisch hier“, sagt er und wirft seine Fahrradtasche auf die Liege gegenüber von mir. „Eigentlich wollte ich unten schlafen, aber auf meinem Ticket steht Liege oben.“ Nachdem ihm der Schaffner bestätigt, dass das 4er-Liegewagen ausgebucht ist, verabschiedet er sich mit seinen Sachen in ein Sitzwagen. „Das ist mir zu viel Gekletter, im Sitzwagen kann ich wenigstens etwas arbeiten.“ Bevor ich ihn mit der Geschichte meiner Hinfahrt warnen kann, ist er auch schon weg. Der Nightjet rollt an und wir verlassen den Hamburger Hauptbahnhof.
Am Fenster ziehen die Elbbrücken vorbei. Immer wieder blitzt die Sonne durch die Stahlverstrebungen. Nachdem wir auch die Süderelbe überquert haben, wird es langsam dunkel. Bevor uns die gewohnte letzte Durchsage in die Nacht entlässt, kontrolliert der Schaffner die Tickets. Er fragt uns, wann wir morgen frühstücken möchten und ob es Tee oder Kaffee sein darf. Als letzten Hinweis erklärt er uns, wie man das Abteil verriegelt. Bis 7:30 Uhr wird uns heute niemand mehr stören, nur für die zweite Liege unten wird gleich noch jemand in Hannover zusteigen.
Strategien zum Einschlafen
Pfffft! Zisssch! Biergeruch steigt mir in die Nase. Der Mann auf der Liege unter mir kippt sich die zweite Dose in den Rachen. Meine Einschlafstrategie sieht anders aus. Ohrstöpsel gegen das Genörgel der Kinder im Nachbarabteil, Augen-Nasen-Schutz gegen den Biergeruch und das Licht von draußen, dazu Entspannungsmusik von Spotify. Auf meiner Liege gibt es ein frisches Kopfkissen, eine Decke und ein Laken, in das ich mich einhüllen kann. Wenn ich mich diagonal über die Liege lege, berühre ich geradeso mit den Zehenspitzen die Jalousie am Fenster und mit den Haarspitzen streife ich am Kopfende (ich bin laut Ausweis 183 cm groß). Nachdem unser Liegewagen in Hannover durch den jungen Mann aus Hannover vervollständigt wurde, dämmere ich gegen 23 Uhr langsam weg.
Eingeschlossen im Liegewagen
Peng, peng, peng. Metall knallt auf Metall, direkt neben meinem Ohr. Durch die Ohrstöpsel sind die Schläge gedämpft, trotzdem wache ich auf. Der junge Mann aus Hannover versucht verzweifelt, die Abteiltür von innen zu öffnen. „Sorry, ich wollte nur noch mal eben um die Ecke…“ Wir schalten das Oberlicht ein und ich versuche ihm zu helfen. Verriegelt haben wir das Abteil nicht, aber die Tür klemmt. Es ist kein gutes Gefühl, in einem warmen und engen Abteil eingeschlossen zu sein. Nach ein paar Anläufen schaffen wir es zum Glück, die Tür aufzuschieben. Woran es lag, keine Ahnung. Vorerst bleibt die Tür offen. Am Gang ist ein Fenster gekippt und es strömt eine kühle Brise Nachtluft ins Abteil. Es ist wahrscheinlich kurz nach Mitternacht, als ich wieder einschlafe.
Reisen im Nachtzug:
Die Nacht zieht vorbei
Ein paar Stunden auf der rechten Seite, ein paar auf der linken. Immer wieder wechsle ich die Liegeposition. Am längsten halte ich es auf dem Rücken aus. Auf einmal ist es kurz nach sieben und im Abteil nebenan trommeln die Kinder wieder auf den Betten herum. Der junge Mann aus Hannover packt bereits seine Sachen zusammen, denn gleich erreichen wir München. Ich fühle mich erstaunlich ausgeschlafen. Mittlerweile hat die Klimaanlage das Abteil spürbar abgekühlt. Ich ziehe mir meinen Pullover über und richte mich auf. Bald gibt es Frühstück.
Kurz nachdem wir aus München abfahren, kommt um Punkt 7:30 der Schaffner mit zwei kleinen Tablets ins Abteil. Zwei Brötchen, Butter, Kaffeesahne, Marmelade und ein Heißgetränk. Auf dem weißen Plastikbesteck steht „100% Compostable“. Ich klemme mir das Kopfkissen in den Rücken und schlage meine Beine übereinander, während ich am Pfefferminztee nippe. Gleich sind wir in Österreich. Um 9:30 steige ich in Innsbruck aus und stelle freudig fest: Der ganze Tag liegt noch vor mir und ich habe die Fahrzeit sinnvoll zum schlafen genutzt. (Mehr dazu: Fahrzeit zu Lebenszeit machen)
Fazit: Reisen im Nachtzug Liegewagen
Im Vergleich zum Sitzwagen war der Liegewagen mehr als ein Upgrade. Die Liege ist hart und das Abteil eng, trotzdem konnte ich mich mit Ohrstöpseln und Augenmaske vom Nachtzug in den Schlaf schaukeln lassen. Den Sitzwagen des Nightjets kann ich zum Schlafen niemandem empfehlen. (Mehr dazu: Im Sitzwagen nach Hamburg) Für gelegentliche Fahrten geht der Liegewagen des Nightjets klar. Wenn ich öfter fahren müsste, würde ich das Schlafabteil ausprobieren. Leider ist das deutlich teurer und die Plätze sind Monate im Voraus ausgebucht.
Reisen im Nachtzug könnte sich als eine nachhaltige Alternative zum Flugzeug etablieren. Der Komfort darf sich noch steigern. Wenn die Nacht im Zug, einer Nacht im Hotel gleich kommt, dann sind die KundInnen sicher eher bereit mehr zu zahlen als für einen Billigflieger. (Mehr über Zugreisen: Urlaub ohne Flieger)
Disclaimer: Regulär kostet eine Fahrt von Hamburg nach Innsbruck im Liegewagen 139 Euro. Mit meiner Bahncard 50 waren es 93 Euro. Die ÖBB hatte keinen Einfluss auf diesen Beitrag. Alle Fotos sind selbstgemacht.